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"Zwei Brüder, zerrissen von Chaos"
Seine düsteren Prophezeiungen ängstigen und faszinieren Menschen seit Generationen: Nostradamus, der berühmteste Seher aller Zeiten, kam heute vor 500 Jahren zur Welt. Seine Anhänger glauben bis heute, dass er zahlreiche Katastrophen vorhersagte - vom Londoner Brand von 1666 bis zu den Terror-Attacken auf die USA.
Düstere Visionen von Tod und Zerstörung
In düsteren Bildern beschrieb Nostradamus die Zukunft, mischte in kaum verständlichen und oftmals unvollständigen Sätzen Altfranzösisch, Latein, Deutsch und andere Sprachen zu dramatischen Visionen. Was der hoch intelligente Sohn eines jüdischen Notars vorhergesagt haben soll, reicht vom Großbrand in London von 1666 bis zum Attentat von Sarajevo und zur Atombombe von Hiroshima.
Am 14. Dezember vor 500 Jahren kam der Seher und Pestarzt Michel de Nostredame in St. Remy in der Provence auf die Welt. Und auch heute noch sind viele Menschen davon überzeugt, dass er in die Zukunft blicken konnte. Seine ungeheure Neugierde hatte ihm schon eine Karriere als gefragter Pestarzt eingebracht: Seine "Rezeptur" gegen die Krankheit erwies sich als verblüffend wirksam. Obwohl er wiederholt gegen die immer wieder aufflammende Seuche im Einsatz war, erkrankte er selbst nie.
Zahllose Deutungen der mysteriösen Vierzeiler
Genau 924 Vierzeiler über Ereignisse bis zum Jahr 3797 hat Nostradamus in einem zum Observatorium ausgebauten Dachstuhl von Salon-de-Provence verfasst. Seine "wahren Prophezeiungen des Magisters Nostradamus" hat er jeweils in einer Hundertschaft zu "Centurien" zusammengestellt - bunt gemischt, um es den Deutern nicht zu leicht zu machen. Über die Jahrhunderte gab es ungezählte Auslegungen der Verse.
"Die Verse sind so unklar, dass man vieles hineininterpretieren kann, ähnlich wie bei Horoskopen auch", sagt der Historiker und Nostradamus-Experte Jörg Dendl. Außerdem hatte der Seher die Chronologie der Jahre absichtlich durcheinander gebracht. Denn Nostradamus hatte offenbar Angst, wegen seiner prophetischen Fähigkeiten verfolgt zu werden. "Es scheint aber einen bestimmten mathematischen Schlüssel zu geben, um die Vorhersagen wieder in die richtige Reihenfolge bringen zu können", sagt Dendl. Die Entschlüsselung des Codes sei allerdings noch nicht gelungen.
Der Buchautor und Nostradamus-Experte Manfred Dimde bestreitet dies. "Mit Hilfe von Computeranalysen habe ich den Nostradamus-Code entschlüsselt", behauptet Dimde, der auch mit Nostradamus-Seminaren sein Geld verdient. Er erreiche bei der Interpretation der Vorhersagen eine Trefferquote von 65 bis 75 Prozent. "Es gibt allerdings auch das Problem, dass man immer berücksichtigen muss, wie ein Mensch des Mittelalters gedacht hat."
"Flieht vor dem Grauen des Verbrennens"
So heißt es in einem Vers von Nostradamus: "Flieht, flieht vor dem Grauen des Verbrennens". Darin sehe er die Vorhersage der Entwicklung der Atombombe, sagt der Nostradamus-Autor. In einem weiteren Vierzeiler spricht Nostradamus von brennenden "höllischen Lampenschalen". Das können, so Dimdes gewagte Deutung, nur die brennenden Ölquellen in Kuweit nach dem Einmarsch der irakischen Armee gewesen sein.
Berühmt geworden ist Nostradamus mit der vermeintlichen Vorhersage des Todes des französischen Königs Heinrich II. "Der junge Löwe überwindet den Alten, auf dem Kampffeld durch ein Einzelduell. Im goldenen Käfig sticht er sich die Augen aus", dichtete Nostradamus. Ein Jahr nach Veröffentlichung seiner ersten Prophezeiungen kam Heinrich II. bei einem Turnier ums Leben, indem eine Lanzenspitze in den Kopf eindrang.
"Das war aber wohl nur ein Zufallstreffer", meint Dendl. Alle stimmigen Interpretationen über bestimmte Ereignisse sind erst nachträglich den Versen zugeordnet worden. "Das Unheimliche, wie die Fähigkeit in die Zukunft zu sehen, ist für die Menschen immer sehr reizvoll. An so etwas wollen viele glauben."
Wenn selbst die Originalverse nicht wolkig genug sind, legen Spökenkieker mitunter selbst Hand an. So kursierten schon wenige Stunden nach den Terror-Anschlägen auf die USA vom 11. September 2001 Gerüchte, Nostradamus habe den Einsturz der Türme des World Trade Centers treffsicher prophezeit. Die weitest verbreitete Version des entsprechenden Vierzeilers lautete:
"In the City of God there will be great thunder,
Two brothers torn apart by Chaos,
While the fortress endures,
The great leader will succumb."
Nostradamus, 1654
Nicht nur, dass der Seher bereits 1566 starb: Diesen Vers hatte er nie verfasst. Es handelte sich lediglich um einen kruden Mix aus verschiedenen Nostradamus-Zeilen, auf manchen Verschwörungs-Webseiten aufgehübscht durch ebenfalls erfundene Zusätze wie "metallene Vögel", die vom Himmel fallen.
Dennoch stellt sich die Frage, warum und wie Nostradamus seine Prophezeiungen gemacht hat. "Er fühlte sich auf jeden Fall berufen, Vorhersagen zu machen", glaubt Dendl. Vielleicht stellten die katastrophalen Vorhersagen bis ins Jahr 3797 ein Rettungsanker für die Menschen dar, denn im 16. Jahrhundert suchten mehrere Pestepidemien die Bevölkerung in Europa heim. Hinzu kamen Kriege wie der Einfall der Türken in Europa. Viele waren überzeugt, dass der Weltuntergang nahe ist.
"Mit den Vorhersagen konnte Nostradamus den Menschen aber zeigen, dass das Leben weiter geht und der Weltuntergang vorerst nicht kommt", sagt Dendl. Es sei auch möglich, dass Nostradamus gar keine Visionen gehabt hat. "Meiner Meinung nach ging der in Astrologie bewanderte Seher davon aus, dass sich geschichtliche Ereignisse immer wiederholen." Er könnte dann Ereignisse mit bestimmten Planetenkonstellationen verbunden haben. Traten diese Himmelskonstellationen erneut nach Jahren auf, geschehen nach dieser Logik vergleichbare Katastrophen.
Für alle wäre es jedoch gut, wenn die Vorhersagen schlicht und einfach falsch sind. Denn sonst müssten sich die Menschen für die nächsten Jahre auf einiges gefasst machen. Dimde: "Es gibt eine gewisse Unruhe in der Nostradamus-Gemeinde, dass in den Jahren 2010 bis 2012 fast so etwas wie ein Weltkrieg entstehen könnte."
Quelle:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,277981,00.html