na, das haben wir doch immer schon so gesehen:
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US-MEDIENSPEKTAKEL
Das Ende des Mythos Jessica
Von Marc Pitzke, New York
Jessica Lynch, das PR-Postergirl des Pentagons, hat gestern Abend im US-Fernsehen ihr Schweigen gebrochen - und den Heldenmythos entzaubert, mit dem das Weiße Haus den Irak-Krieg verherrlicht. Stattdessen bleibt ein übler Nachgeschmack: Der Feldzug wird von ahnungslosen Kindern ausgefochten.
New York - Sie ist wütend. Wütend auf die Iraker, wütend auf die Medien - und wütend auf ihre einstigen Dienstherren im Pentagon. "Sie haben mich benutzt", sagt Jessica Lynch, "um all dieses Zeugs zu symbolisieren." Soldatin, Heldin, Symbol des siegreichen Amerikas: zum Lachen - oder, je nach Schmerzgrad ihrer Wunden, zum Weinen. "Ich bin doch nur ein Mädchen vom Lande." Ein Phantom des Krieges redet sich frei.
Da sitzt sie also, vor Abermillionen TV-Zuschauern zur besten Sendezeit am gestrigen Abend, dem 237. Tag des Irak-Krieg, "Veterans Day", ausgerechnet. Weich gezeichnet, perfekt ausgeleuchtet, Herzchen im Ohr, Herzchen um den Hals, irgendwo zwischen Frau und Mädchen, Soldatin und Pfadfinderin. Und immer noch, doch nicht immer, ganz die "Miss Freundlichkeit", zu der sie einst auf der Bezirkskirmes gekrönt wurde.
Und plötzlich offenbart sie sich schlagartig, die bittere Moral dieser Geschichte von "Private Jessica": Der Irak-Krieg ist ein Krieg, der von ahnungslosen Kindern gefochten wird.
Perfektes Abziehbild des "American Dream"
Jessica Lynch, 20, bricht ihr Schweigen. Die berühmteste Kriegsgefangene des Irak-Dramas - und die erste seit dem letzten Weltkrieg, die lebend aus Feindeshand befreit wurde: "An American Story", tutet ABC, das Network, das den Zuschlag bekam, aber erst, nachdem sein Interview-Star Diane Sawyer das Objekt der TV-Begierde mit Präsenten beglückt hatte.
"Ich sehe mich nicht als Heldin", sagt Lynch. "Ich bin eine Überlebende." Überlebende von Krieg, Verwundung, Gefangenschaft und, glaubt man den Ärzten, Vergewaltigung, sie selbst erinnert sich an nichts. Und dann, zurück in der Heimat, Überlebende einer Propaganda-Kampagne des Weißen Hauses und eines beispiellosen Medienspektakels.
Monate lang existierte sie, ganz nach Wunsch ihrer Befehlshaber, nur als zweidimensionale Schablone. Als Collage nationaler Sehnsüchte, zusammengesetzt aus ihrem Rekrutenfoto, dem Nachtvideo ihrer Befreiung, den Bildern des "Heldenempfangs", bei dem sie sie im Cabrio durch ihr Heimatkaff kutschierten wie einen Popstar. Blass, blond, stumm: ein perfektes Abziehbild des "American Dream" - und ein perfektes Postergirl fürs Pentagon.
"Ich fiel auf die Knie und betete"
Damit ist nun Schluss, ein für allemal. "Der Preis ist hoch, so hoch", sagt Lynch. "Seinem Land zu dienen", fügt sie hinzu, fast höhnisch, heiße im Prinzip doch nur eines: "Verlust."
Nicht gerade die beste Werbung für die Army. Dabei hat sie das Pentagon aufs Podest der Legende beordert, um die Kriegszweifel des Volkes zu zerstreuen. Und der US Postal Service hat ihr einen eigenen Poststempel gewidmet, der, dank ihres Wohnorts, gleich zur biblischen Adresse wurde: "Jessica Lynch Station, Palestine, West Virginia."
Davon will sie nichts mehr wissen. Sie zerreißt die Mythen, zerstört die Illusionen und holt die Nation auf den Boden der Tatsachen zurück.
Zum Beispiel die "Rambo"-Sache. Wie ein Action-Held habe sie sich gegen die bösen Iraker gewehrt, habe eine Handvoll von denen auch mit ihrem M-16 niedergemäht. "Sie kämpfte bis zum Tod", schrieb die "Washington Post", unter Berufung auf "Militärkreise".
Eine Ente, vom Pentagon gebilligt, wenn nicht gar lanciert: "Es tut weh", sagt Lynch, "wenn Leute Sachen erfinden." Fast böse sprudelt es aus ihr heraus. "Mein Gewehr klemmte, ich habe nicht geschossen, keine Salve, nichts, ich hatte Angst, ich war nervös, ich fiel auf die Knie und betete, das ist das Letzte, woran ich mich erinnere."
Ein Märchen entpuppt sie als, nun ja, Märchen. Auch das mit den irakischen Folterknechten. Geschlagen und gequält habe man sie im Krankenhaus "Saddam Hussein", wo sie zehn Tage gefangen lag, mit zerschmettertem Bein und kaputter Wirbelsäule.
"Nein", widerspricht sie kategorisch. "Keiner hat mich geschlagen, keiner hat mich geohrfeigt." Vielmehr hätten sie die irakischen Ärzte und Krankenschwestern wunderbar behandelt, und eine Schwester habe sie jeden Abend mit einem arabischen Lied sanft in den Schlaf gesungen, "ich liebe sie", sagt Lynch.
Auch dass das Pentagon eine kleine Armee zu ihrer Befreiung nach Nasirija abkommandierte, Marines, Army Ranger, Navy-Seals, die Härtesten der Harten, die die wehrlose, unbewaffnete Klinik nachts stürmten und das ganze Spektakel auf Film festhielten: Das geht Lynch bis heute nicht so recht in den Kopf. "Ich wusste nicht mal, dass die eine Kamera dabei hatten." Alles, was sie wollte, war nach Hause.
Es war ein grandioser PR-Coup. Der Einmarsch bekam endlich jenen dramaturgischen Drall, jenen Hauch von patriotischer Mission, den er bis dahin vermissen ließ. Und Lynch bekam alle Orden, die ein US-Soldat kriegen kann. Sie wurde zum Covergirl von "Time", "Newsweek" und "People". Annie Leibovitz, die berühmteste Fotografin der Welt, porträtierte sie als Sex-Symbol, in Jeans und mit bloßem Nabel. Zwei Ex-Kameraden boten Nacktbilder von ihr feil, für 200.000 Dollar. Doch stets blieb sie stumm.
Girl-Talk unter Pop-Stars
Die Networks rissen sich um die Exklusivrechte für das erste Interview. CBS lockte mit einem Paket-Deal (Film, Buch, MTV-Special), NBC schickte ihr einen Stapel erhebender Literatur ans Krankenbett, Diane Sawyer ein Medaillon mit einem Foto des Lynch-Elternhauses.
Am Ende kriegen sie doch alle ihre Lynch. ABC gestern, NBC heute im Frühstücksfernsehen, CBS am Freitag auf David Lettermans Talk-Couch. Schließlich hat sie auch ein Buch zu verkaufen, das gestern auf den Markt kam. Für eine halbe Million Dollar hat sie es dem entehrten Pulitzer-Preisträger Rick Bragg in die Edelfeder diktiert, den die "New York Times" dieses Jahr feuerte, weil er seine tollen Geschichten von anderen recherchieren ließ, ohne das zu sagen.
Jessica, das Medienereignis: So unschuldig ist sie selbst daran also auch nicht mehr. Mit Trommelwirbeln untermalt ABC das zum Doku-Drama geblähte Interview, zerhackt es in verdauliche Soundbites, dazwischen Werbung für Anti-Depressiva, Erektionspillen und Geländewagen. Diane Sawyer - die heute Abend einen anderen Pop-Star umgurrt, Britney Spears - trägt Schwarz, heuchelt Betroffenheit und macht einen auf Girl-Talk.
Doch Lynch ist nach Girl-Talk nicht mehr zumute. Sie sieht aus wie ein Püppchen, doch ihre Worte offenbaren jemanden, den der Krieg um Jahrzehnte altern ließ. Sie zog in die Armee und mit der dann in den Irak, um endlich mal raus zu kommen aus ihrem 350-Seelen-Nest, wo jeder Fünfte unter der Armutsgrenze lebt; mit gebrochener Seele kam sie zurück. "Ich hatte so viel Angst", sagt sie bebend.
Invalide für einen guten Zweck
Die hat sie auch heute noch - vor den Erinnerungen. "Ich will überhaupt keine Erinnerung mehr haben", sagt sie. "Ich hoffe, dass das langsam ganz verschwindet." Damit meint sie vor allem die physischen und psychischen Spuren der Vergewaltigung, die die Ärzte festgestellt haben, doch an die sie sich nicht erinnert. "Das ist zu schmerzhaft."
Auch sonst quält sich Lynch mit ihrem Dasein. Sie hat überall Narben, ihr linkes Bein ist voller Stahl, sie kann ihren Fuß nicht fühlen, aber immerhin 40 Schritte ohne Krücken laufen. Täglich schluckt sie 18 Pillen, morgens zehn, mittags zwei, abends sechs. Die Armee hat sie entlassen und zahlt ihr eine Behindertenrente: Eine von 7000 Früh-Invaliden, die dieser Krieg nach Zählung des Frontblatts "Stars and Stripes" bisher hinterlassen hat, "für einen guten und gerechten Zweck", wie US-Präsident George W. Bush es an diesem "Veterans Day" ermutigend formuliert.
"Ich bin keine Heldin", wiederholt Lynch da: "Ich bin doch nur ein Mädchen vom Lande."
Quelle:
http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,273615,00.html