Aber die einstige Macht der Italiener ist in der Amtszeit Johannes Pauls II. geschrumpft. Waren 1978 noch 24 Prozent der Papst-Wahlmänner Italiener, sind es jetzt nur noch 17 Prozent (siehe Grafik Seite 122).
DER SPIEGEL
Das Konklave
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Kräftig gewachsen ist derweil das Gewicht der spanisch-portugiesischen Sprachgruppe. Lateinamerika, dort lebt beinahe die Hälfte aller Katholiken, stellt 24 Papst-Wähler, dazu kommen 6 spanische und 2 portugiesische. Das macht ein Stimmgewicht von 24 Prozent für den Ibero-Latino-Block. Und nicht wenige Kirchenvertreter Asiens und Afrikas votierten, wenn die eigenen Leute keine Chancen hätten, so heißt es, lieber für einen Südamerikaner als für einen Europäer oder gar einen US-Kandidaten.
So tauchen im "Papa-Toto", wie italienische Spötter die Papst-Spekulationen tauften, gleich mehrere Kandidaten aus Lateinamerika auf: vergleichsweise junge Erzbischöfe wie Juan Luis Cipriani Thorne, 59, aus Peru, Oscar Andrés Rodríguez Maradiaga, 60, aus Honduras und Norberto Rivera Carrera, 61, aus Mexiko. Aber auch der 74-jährige Kolumbianer Darío Castrillón Hoyos, der etliche Sprachen spricht, auch Deutsch, und viele Freunde unter den konservativen Europäern hat.
Die gemäßigt liberalen Katholiken-Fürsten sähen dagegen lieber den Mann aus Honduras, Rodríguez Maradiaga, auf dem Petrus-Thron. Auch dem Erzbischof von São Paulo, Cláudio Hummes, und dem Kolumbianer Alfonso López Trujillo, 67, stockkonservativer Chef des "Päpstlichen Rates für die Familie", werden Außenseiterchancen eingeräumt.
"Das Problem der Latinos", so ein Vatikan-Experte, könne freilich sein, dass sie zu viele "papabili" hätten und es am Ende ausgehe wie 1978. Damals hätten sich die Anhänger der zwei favorisierten Italiener, der Kardinäle Siri und Benelli, gegenseitig blockiert. Im achten Wahlgang habe dann plötzlich der Pole Wojtyla 98 von 111 Stimmen bekommen.
In solchen Patt-Situationen ist alles möglich. Dann könnte die Mehrheit sogar den ersten Papst mit schwarzer Haut küren. "Wir haben wirklich große Figuren", warb kürzlich der nigerianische Kardinal Francis Arinze öffentlich für die Wahl eines Afrikaners. Tatsächlich käme für den Fall wohl vor allem einer in Frage: Arinze selbst.
Der Mann aus einer traditionellen Ibo-Familie, bei irischen Missionaren eingeschult, mit 32 der weltweit jüngste Bischof, ist meist fröhlich und im Ton konziliant - aber in der Sache so orthodox wie die Ratzinger-Truppe. So war es gewiss nicht nur dahergeplappert, als der Kardinal sich vor geraumer Weile öffentlich über einen Afrikaner als nächsten Papst Gedanken machte: Das wäre doch "ein schönes Zeichen für die gesamte Christenheit".
Tatsächlich scheinen die Chancen Arinzes genauso marginal zu sein wie die für einen Kandidaten aus der eher liberalen Seilschaft. Die Kardinäle aus Mitteleuropa und den USA, der Kern dieser Gruppe, vertreten Kirchen, die in den Augen vieler Drittwelt-Katholiken weitgehend zum Hort sinnentleerter Attitüden verkümmert sind. Den "Konfliktkirchen" - unterdrückt wie in China, bekämpft wie in Indonesien - und den "Armutskirchen" Lateinamerikas und Afrikas haben die Liberalen wenig anzubieten. Allenfalls der Klerus Osteuropas - mit der Erfahrung eines halben Jahrhunderts als verfemte Minderheit - hat bei ihnen Glaubwürdigkeit. Deshalb ruhen die Hoffnungen der gemäßigten und moderneren Kirchenleute heute vielleicht weniger auf dem Wiener Erzbischof Christoph Schönborn, 58, als etwa auf dem Tschechen Miloslav Vlk, 71.
Wenn diese Woche alle Kardinäle dieser Welt, die nicht gerade bettlägrig sind, sich in Rom einfinden, um das Dienstjubiläum ihres Chefs mit Symposien, Gottesdiensten und einem Konzert zu feiern, dann geht, bei aller Pietät, der Wahlkampf kräftig los. Das Konsistorium, die Vollversammlung der Purpurträger zur Aufnahme ihrer neu ernannten Kollegen in der nächsten Woche, werde dann schon ein "Konklave zur Probe", witzelt ein Kirchenbediensteter.
Auch der Mann, um dessen Nachfolge es geht, arbeitet schon für den Tag danach. Er hat das Kardinalskollegium aufgefüllt, wichtige Ämter im Vatikan neu besetzt.
Enge Freunde sind versorgt, wie sein Privatsekretär Stanislaw Dziwisz, der Erzbischof in Polen wird. Ende der Woche wird er Mutter Teresa selig sprechen, dann hat er seiner Kirche fast 1800 neue Selige und Heilige beschert, mehr als alle seine Vorgänger insgesamt.
Als robuster Sportler hatte Wojtyla 1978 das Amt übernommen - Skifahrer, Bergwanderer, Schwimmer -, er hat in 130 Nationen die Erde geküsst, hat die Großen der Weltpolitik empfangen, mit Bob Dylan gesungen, schwülstige Mariengedichte geschrieben. Was bleibt ihm jetzt?
Noch einmal, ein letztes Mal, nach Polen. Das wäre sein Traum, offenbarte er dem Warschauer Regierungschef Leszek Miller, "so Gott will". Es wäre eine Dramaturgie nach Maß, eine, die so recht zu ihm passte: eine mythische Symbiose von Anfang und Ende.
Doch es ist ungewiss, ob sein fragiler Körper das noch zulässt. Die Jubiläumsfeiern fordern ihm in dieser, für ihn wohl strapaziösesten Woche des Jahres, Zusätzliches ab. Vielleicht war die Zwei-Stunden-Visite per Hubschrauber nach Pompeji vorigen Dienstag schon die letzte Fahrt.
Nur mit einem eigens konstruierten Mini-Fahrstuhl konnte er den Helikopterein- und -ausstieg bewältigen. "Betet hier für mich", flüsterte er ins Mikrofon, "jetzt und immer."
Und seine Fans sind zugleich auf eine seltsame, verworrene Art gnadenlos: Ganz locker sprechen sie über die Zeit nach seinem Tod, während sie zusehen, wie er sich leidend müht. "Für mich", sagt eine junge Italienerin auf dem Petersplatz in Rom mit Glanz in den Augen, "ist er schon heilig." Sein Tod werde nur "eine zweite Geburt sein, der Eintritt ins Paradies".
Da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu dem stillen Seufzer eines Vatikan-Angestellten: "Wenn der Papst stirbt", so wolle es der Brauch im Kirchenstaat, "bekommen wir ein doppeltes Gehalt." Die Sitte wurde schon vor langer, langer Zeit eingeführt, damit die Kirchenbediensteten nicht die Gemächer ihres Dienstherrn plünderten, kaum dass der verschieden war.
HANS-JÜRGEN SCHLAMP
quelle: spiegel.de