Das Thema militärische Leistungsfähigkeit ist ein Paradebeispiel für die teilweise eklatante Diskrepanz zwischen Außenwirkung und tatsächlicher Fähigkeit. Ich denke da etwa an den medienwirksamen Einsatz des russischen Flugzeugträgers Kusnezow im Syrienkrieg, begleitet von drei Kreuzern/Zerstörern und Hilfsschiffen. Alle diese Einheiten entstammen allerdings noch der Sowjetzeit, sind technisch trotz Modernisierungen weitgehend veraltet und bezogen auf das Material "verbraucht". In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden unzählige Nachfolgeklassen vorgestellt, in Grafiken und als Modelle, bis hin zu einem neuen Flugzeugträger. Tatsächlich hat Russland seit dem Ende des Kalten Krieges an hochseetauglichen Überwasserkriegsschiffen lediglich vier moderne, gemessen an internationalen Standards allerdings kleine Fregatten in Dienst gestellt. Zum Vergleich, die Royal Navy hat seit dem Ende des Kalten Krieges zwei Flugzeugträger, zwei amphibische Angriffsschiffe und sechs Zerstörer neu entwickelt und gebaut, die Marine Nationale einen Flugzeugträger, drei amphibische Angriffsschiffe, drei Zerstörer und fünf Fregatten (für die jetzt wiederum schon das Nachfolgeprogramm gestartet wurde). Selbst die Deutsche Marine hat im gleichen Zeitraum fünf neu entwickelte Fregatten übernommen. Von der US Navy oder der chinesischen Marine ganz zu schweigen.
Russland fehlt das Wissen zur Entwicklung und die Fähigkeit zum Bau von größeren hochseetauglichen Marineeinheiten, was sogar dazu führte, dass man amphibische Angriffsschiffe aus Frankreich kaufen wollte (und gekauft hätte, wenn der Ukraine-Konflikt dies nicht verhindert hätte). Das ist nur ein Beispiel, ich könnte etliche weitere nennen.
Die Situation ist ohne tiefere Kenntnisse nur sehr schwer einzuschätzen, weil die Strukturen sehr unübersichtlich sind und Anspruch und Wirklichkeit auch intern voneinander abweichen. Russland besitzt heute Waffensysteme, die eher zum Arsenal einer Weltmacht gehören (bspw. strategische Bomber), ist aber teilweise nicht in der Lage moderne Systeme zu entwickeln, die einer Großmacht würdig sind. Auf einige wenige wichtige Projekte konzentrieren sich ein Großteil der (an sich schon geringen) Mittel, und nur auf diesen Gebieten schafft Russland es auf dem aktuellen Stand zu bleiben; diese Projekte dienen entweder unmittelbar der Grenzverteidigung (bspw. Korvetten, Flugabwehrsysteme), oder der militärischen Abschreckung (strategische Unterseeboote). Auf Dauer wird das so nicht reichen, es reicht ja jetzt schon kaum.
Bei der Raumfahrt sind die Probleme auch seit Jahren offensichtlich. Sojus/Progress sind technologisch hoffnungslos veraltet und sollten schon seit 20 Jahren ersetzt werden, eine gesicherte Finanzierung für die Nachfolgeprojekte gab es aber nie. Mal scheiterte es an einer fairen Arbeitsverteilung, mal hatten andere Nationen (allen voran die ESA) technologische Bedenken. Das aktuelle Projekt "Orel" läuft schon seit über einem Jahrzehnt ohne nennenswerte Fortschritte, dabei wäre eine schnelle Realisierung dringend notwendig. Nicht nur, weil perspektivisch die Devisen durch Sojus/Progress wegbrechen, sondern auch, damit man den eigenen, teuren Weltraumbahnhof endlich vollständig nutzen kann. Der einzige Unterschied zwischen Raumfahrt und Militär ist jener, dass es bei ersterem noch immer eine breite internationale Kooperation gibt (Schade nur, dass man die Chinesen außen vor lässt).
Was die Privatisierung der Raumfahrt angeht, da sind die USA meilenweit voraus, dass wird so schnell nicht einzuholen sein. Es gibt allerdings tatsächlich in China private Bemühungen:
After two companies failed to launch a rocket into orbit, iSpace is giving it another try.
qz.com
Im Endeffekt entwickelt es sich wirklich zu einem echten Wettrennen zwischen den USA und China, mit Europa als mit beiden kooperierender "Juniorpartner". Spannende Zeiten!