Quelle :
http://www.welt.de
Unternehmen Galileo
Europas Netz von Navigations-Satelliten nimmt Gestalt an
von Anatol Johansen
München - Der Kampf ist entbrannt. "Es kommt für uns überhaupt nicht infrage, ein Satellitennetz aufzubauen und dann von einer amerikanischen Gesetzgebung abzuhängen, die uns vorschreibt, wo die Satelliten gestartet werden dürfen und wo nicht, wer sie anpeilen darf und wo wir sie im All positionieren dürfen." Derart entschieden äußerte sich kürzlich Claudio Mastracci, Direktor für Anwendungssatelliten bei der Europäischen Weltraumorganisation (Esa), zu Fragen des Aufbaus des geplanten europäischen Navigationssatellitennetzes Galileo.
Die Amerikaner müssen auf der Hut sein. Zwei Mal sind die Europäer bereits im Luft- und Raumfahrtbereich geschlossen gegen sie angetreten - siegreich: Das war im Bereich der Trägerraketen für schwere geostationäre Satelliten. Da schob sich die europäische Ariane-Rakete nach schwierigen Anfängen weltweit an die Spitze. Und bei den Düsenverkehrsflugzeugen ist Europas Airbus-Industrie dabei, den jahrzehntelangen Weltmarktführer Boeing auf Platz zwei zu drängen.
Jetzt sind die Europäer bei den Navigationssatelliten angetreten. Bisher haben die USA mit ihrem militärischen Global Positioning System (GPS) ein Monopol, von dem ihre Wirtschaft erheblich profitiert. Da sich die Zahl der Nutzer von GPS für den Land-, See- und Luftverkehr, aber auch für militärische Zwecke ständig erhöht, schafft dies bei den Anwenderfirmen, die GPS-Empfänger und andere zivile und militärische Infrastruktur für das System liefern, schon heute Umsätze von etwa acht Milliarden Dollar pro Jahr. Die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA rechnet damit, dass sich diese Summe innerhalb von zwei bis drei Jahren verdoppelt.
Kein Wunder, dass Europa nicht länger nur Kunde amerikanischer Technologie sein will. Eine EU-Studie hat ergeben, dass mit der Satellitennavigation allein in Europa mehr als 100 000 Arbeitsplätze und Umsätze von mehr als neun Milliarden Euro pro Jahr zu erzielen wären.
Die ersten beiden Testsatelliten für das Galileo-Netz, das 27 operationelle und drei Ersatzsatelliten umfassen soll, wurden grade in Auftrag gegeben. Galileo Industries, ein europäisches Joint Venture mit Sitz in Ottobrunn bei München, wird den 525 Kilogramm schweren und 72 Millionen Euro teure Satelliten "GSTB V2" beisteuern. Er soll Ende 2005 mit einer russischen Sojus-Rakete von Baikonur ins All gebracht werden. Das zweite Gerät wurde für 29 Millionen Euro bei der britischen Surrey Space Technology Limited bestellt.
Die 30 Galileo-Satelliten sollen ab 2008 einsatzbereit sein und auf Kreisbahnen in Höhe von 23 600 Kilometern um die Erde laufen mit einer Inklination (Bahnneigung zum Äquator) von 56 Grad. Damit können die Galileo-Navigationsdienste weltweit genutzt werden. Die Operationen und das Navigationssystem werden von zwei Zentralen in Europa gesteuert. Die Anfangsfinanzierung in Höhe von 1,1 Milliarden Euro bringen Esa und EU zu gleichen Teilen auf. Das gesamte Satellitennetz wird etwa 3,4 Milliarden Euro kosten, wobei sich auch die Industrie beteiligen soll. Bislang sind die Gesamtkosten erst zur Hälfte gesichert. Doch gerade erhielt das Galileo-Programm neue politische und finanzielle Unterstützung. China, das eine einseitige Abhängigkeit vom amerikanischen GPS nicht begrüßt, hat sich zum Mitmachen entschlossen. Auf dem 6. China-EU-Gipfeltreffen in Peking am 30. Oktober unterzeichneten beide Seiten eine Übereinkunft, die China einen Anteil von 234 Millionen Dollar am Galileo-System sichert.
Inzwischen verspricht Galileo zu einem globalen System zu werden. Denn auch die Regierung in Neu-Delhi will sich an dem europäischen Navigationssatellitensystem beteiligen. Auf einer europäisch-indischen Konferenz könnten bereits am 29. November 2003 Details verhandelt werden. Erste Berichte schildern, dass Indien mit einer Beteiligung von 353 Millionen Dollar in das Galileo-Programm einsteigen wolle und damit die chinesische Beteiligung noch übertreffen könnte.
Unzufrieden sind indes die Amerikaner. Sie befürchten, dass ihnen die Europäer mit den für ihre Galileo-Satelliten vorgesehenen Frequenzen in die Quere kommen. Denn auch sie wollen diesen Frequenzbereich für einen zukünftigen neuen Militär-Code ihres Global Positioning Systems nutzen.
Artikel erschienen am 11. Nov 2003