Warum sollten wir gentechnisch veränderte Pflanzen essen?
Disput über Chancen und Risiken des Gen-Food
von Norbert Lossau
US-Präsident George W. Bush hat Europa aufgefordert, den Import gentechnisch veränderter Nahrungsmittel zu erlauben. Doch wozu brauchen wir überhaupt Gen-Food? Diese Frage diskutierten in Berlin der Genexperte Professor Beda Stadler von der Universität Bern, Ministerialdirigent Manfred Lückemeyer vom Bundesministerium für Verbraucherschutz und Ernährung, die Schauspielerin Anouschka Renzi sowie die Biotech-Unternehmer Arno Krotzky und Thomas Klein als Vertreter der GENeration21. "Ich weiß zu wenig über Gentechnik und habe Angst davor, weil es ja keine Langzeiterfahrungen gibt" gesteht Frau Renzi. Eben deshalb sei es die Pflicht der Wissenschaftler aufzuklären, begründet Klein die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Dialogs: "Das Thema Grüne Gentechnik ist extrem emotionsgeladen. Wir müssen wissen, wo die Ängste der Menschen liegen, um darauf reagieren zu können." Stadler hält indes jegliche Angst vor gentechnisch veränderten Pflanzen für unbegründet. "Von gentechnisch veränderten Pflanzen gehen keinerlei Gefahren aus. Eher schon von so genannten natürlichen Pflanzen", verkündet Stadler vollmundig, "da kommen Menschen ins Krankenhaus, weil sie Bohnen gegessen haben - und zwar roh. Denn rohe Bohnen sind giftig. Da wäre es doch besser, wenn man Bohnen hätte, die dieses Gift nicht mehr haben. Mit Gentechnik wäre das möglich." Lückemeyer widerspricht, dass die Dinge so einfach lägen und nennt als mögliche Risiken eine Beeinträchtigung der Biodiversität durch Auskreuzungen oder neu entstehende Allergien durch gentechnisch veränderte Lebensmittel: "Es gibt unterschiedliche Risikowahrnehmungen, und die gegenwärtige Diskussion in Deutschland ist ein Ausdruck eines Prozesses der politischen Willensbildung." "Es gibt weltweit nicht eine einzige Studie, die konkrete Gefahren der Gentechnik belegen kann", kontert Stadler, "und deshalb wird von Risiken gesprochen. Wir müssen aber lernen, zwischen Risiken und Gefahren zu unterscheiden. Genau das wird aber nicht getan." Krotzky schließt sich dem Standpunkt an, dass von der Grünen Gentechnik keinerlei gesundheitliche Gefahren ausgehen, allerdings sei "sie ein ökonomisches Problem für den Ökolandbau". "Viele leben mit der romantischen Vorstellung, dass diese Lebensmittel natürlich seien", so Stadler, "dabei betreiben wir doch die Pflanzenzucht schon seit mehr als 600 Jahren. Es gibt gar keine natürlichen Lebensmittel. Unser Mais etwa ist nicht natürlich, weil er schon von den Inkas durch Kreuzungen gezüchtet wurde. Und unsere 40 Kohlsorten sind auch nur durch Kreuzungen entstanden. Entlassen sie diese Pflanzen in die Natur, dann garantiere ich, dass keine von ihnen fünf Jahre überleben wird." Überdies betreibe die Natur seit Millionen von Jahren selbst Gentechnik, und es gebe sogar natürliche Bakterien, die Pflanzen zu Gentransfers veranlassen. Es gebe also keinen Grund, folgert Stadler, sich gegen Gentechnik zu wenden, denn "es ist nichts anderes als das, was die Natur ohnehin schon seit Millionen von Jahren betreibt". Lückemeyer erklärt, diese Argumentation durchaus zu verstehen, beharrt aber darauf, dass die Behörden kontrollieren müssten, wenn Menschen Genveränderungen an Pflanzen vornehmen: "Wir müssen in jedem Einzelfall prüfen, ob solche Veränderungen für den Menschen gefährlich sind oder nicht. Es gilt hier das Vorsorgeprinzip." Frau Renzi kommentiert, dass es für den normalen Bürger nicht möglich sei, die feinsinnige Unterscheidung von Risiken und Gefahren zu treffen. Doch auf der anderen Seite müsste es ja erst einmal eine Motivation für den Verbraucher geben, gentechnisch veränderte Produkte überhaupt zu kaufen. Das wäre wohl nur dann der Fall wenn diese entweder "gesünder wären, besser schmecken würden oder eben preiswerter wären". Stadler gibt zu, dass bislang primär nur die Produzenten von der Gentechnik profitierten, weil sie nicht mehr so viel Pflanzenschutzmittel spritzen müssten. Indirekt wären davon aber alle Nutznießer: "Hier zu Lande müssten gentechnisch veränderte Produkte in der Tat besser schmecken, wenn sie erfolgreich sein sollen. Doch bislang bekommen die Verbraucher ja nicht einmal diese Chance, weil die Politik eine Blockade aufrechterhält." Krotzky fordert denn auch eine Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen und ihre Koexistenz mit herkömmlichen Pflanzen. Beim Herstellungsprozess müsse Fairness herrschen und dann "soll letztlich der Verbraucher entscheiden, welche Produkte ihm besser schmecken". Tatsächlich herrschte in dieser Frage schließlich Einigkeit unter allen Disputanten, und auch Lückemeyer stellt klar: "Die Bundesregierung ist nicht gegen Gentechnik. Sie werden sehen, hier wird sich in der nächsten Zeit etwas bewegen." Auch die Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln ist in dieser Diskussionsrunde konsensfähig. Doch noch immer hätten viele Menschen vor Gen-Food große Angst, die offenbar von interessierter Seite geschürt werde, bemerkt Klein: "Ich frage mich, wessen Interesse dies eigentlich sein kann." Schließlich könne ja bei der stetig steigenden Zahl von Erdenbürgern das Welternährungsproblem nur mit Hilfe der Gentechnik angegangen werden. Stadler antwortet mit einem klaren Feindbild: Greenpeace stecke dahinter. "Wenn man denen dieses Thema wegnehmen würde, wären sie bankrott." Nicht erklären mit dieser These lassen sich indes die großen regionalen Akzeptanzunterschiede bei der Grünen Gentechnik - etwa zwischen den USA und Deutschland. Stadler und Lückemeyer sind sich durchaus darin einig, dass dies ein soziokulturelles Phänomen sei und auch etwas mit dem Vertrauen in die Regierung zu tun haben könnte. Eine ungewöhnliche Idee, wie sich die Thematik angstfrei aufarbeiten ließe, hat schließlich noch Professor Stadler parat: "Wir bräuchten eigentlich mehr Gentechnikwitze."
Artikel erschienen am 10. Jul 2003
quelle:
http://www.welt.de/data/2003/07/10/131327.html