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<span style="color:red"> Hat der Mensch einen freien Willen?
Hirnforscher behauptet: Wir entscheiden unbewusst. Das Großhirn rechtfertigt Entscheidungen nur nachträglich
von Antonia Rötger </span>
Berlin - Von der Hirnforschung erwartet die Justiz Hilfe bei Prognosen, nicht aber den Freispruch aller Menschen von Verantwortung. Die moderne Hirnforschung fordert das Menschenbild der Justiz heraus. Denn Verantwortung für sein Handeln trägt nur der, der frei entscheiden und sich selbst kontrollieren kann. Doch wie frei ist ein Mensch, wenn Entscheidungen die Ergebnisse zwangsläufiger Prozesse sind?
Diese Frage habe die Hirnforschung beantwortet, behauptet Professor Gerhardt Roth, Hirnforscher an der Universität Bremen, bei einem Streitgespräch im Berliner Helmholtz-Zentrum. Zwar habe jeder Mensch das Gefühl, ein "Ich" zu haben, das frei zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten wählt, aber dieses Gefühl des freien Willens sei nur eine Illusion. In Wirklichkeit sind die Entscheidungen von unbewussten Teilen des Gehirns längst getroffen, bevor sie bewusst werden und in der Großhirnrinde nachträglich als freie Entschlüsse gerechtfertigt werden. Professor Björn Burkhardt, Strafrechtler an der Universität Mannheim, hält indes am Konzept des freien Willens fest: "Freiheit ist immer subjektiv", sagte er. Roth operiere mit unklaren Begriffen von Illusion, freiem Willen und Objektivität.
In der Tat zeigen Experimente, dass unsere Handlungen und sogar unser Wille manipuliert werden können. Reizt man bestimmte Nerven im Rückenmark, so bewegt sich der Arm, aber der betreffende Mensch weiß davon nichts; reizt man dagegen Nerven im motorischen Kortex, so fühlen die Betroffenen, dass sich der Arm unwillkürlich bewegt, wissen aber auch, dass es erzwungen wurde. Regt man dagegen Bereiche in der Großhirnrinde an, die die Befehle zum Armheben an den Motorkortex weitergeben, dann behauptet die Versuchsperson plötzlich: "Ich wollte den Arm bewegen" - und nennt sogar noch Gründe für diesen "Entschluss". Auch die Hypnose wirkt bei manchen erstaunlich gut: So behauptete ein Mann, der nach einer unter Hypnose gegebenen Anweisung auf dem Boden herumkroch: "Das ist ein schönes Parkett, ich will es mir näher ansehen." Das Gehirn sei, erklärt Roth, durch Sozialisation darauf geeicht, für Handlungen sozial akzeptierte Erklärungen zu finden.
"Hirnforscher führen stets pathologische Fälle an, die auf Fremdsteuerung verweisen. Auch die Diskussion im Strafrecht dreht sich bevorzugt um Abenteurer- und Elendskriminalität", wendet Burkhardt ein. Brutale Gewalttäter haben tatsächlich oft Schädigungen in Hirnregionen, die für die Selbstkontrolle und für das Mitgefühl zuständig sind. Viel häufiger habe die Justiz es aber mit Straftaten im Bereich Verkehr oder Steuerhinterziehung zu tun, die von normalen Bürgern begangen werden. Das Rechtssystem setzt voraus, dass solche Bürger überlegen, wie sie handeln. Und ob sie das mit einem "Ich" tun, das immateriell ist, oder mit einer "Illusion eines Ichs", welche in bestimmten Gehirnbereichen gebildet wird, sei unwesentlich. Damit Normen aller erhalten werden, müssten Steuersünder verfolgt werden. Entscheidend ist für Burkhardt bei der Debatte um die Willensfreiheit, ob die Gesellschaft jedem Einzelnen zugestehen will, dass er sich selbst steuert. Dann können Menschen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Normen verletzen. Wenn man Menschen dagegen als Maschinen definiert, die von biologischen Voraussetzungen und Erfahrungen programmiert seien, sind sie zwar nicht mehr verantwortlich für ihr Handeln, aber die Gesellschaft muss ihre Steuerung stärker in die Hand nehmen - eine totalitäre Vision, die man aus Science-Fiction-Romanen kennt.
Hirnforscher behauptet: Wir entscheiden unbewusst. Das Großhirn rechtfertigt Entscheidungen nur nachträglich
von Antonia Rötger </span>
Berlin - Von der Hirnforschung erwartet die Justiz Hilfe bei Prognosen, nicht aber den Freispruch aller Menschen von Verantwortung. Die moderne Hirnforschung fordert das Menschenbild der Justiz heraus. Denn Verantwortung für sein Handeln trägt nur der, der frei entscheiden und sich selbst kontrollieren kann. Doch wie frei ist ein Mensch, wenn Entscheidungen die Ergebnisse zwangsläufiger Prozesse sind?
Diese Frage habe die Hirnforschung beantwortet, behauptet Professor Gerhardt Roth, Hirnforscher an der Universität Bremen, bei einem Streitgespräch im Berliner Helmholtz-Zentrum. Zwar habe jeder Mensch das Gefühl, ein "Ich" zu haben, das frei zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten wählt, aber dieses Gefühl des freien Willens sei nur eine Illusion. In Wirklichkeit sind die Entscheidungen von unbewussten Teilen des Gehirns längst getroffen, bevor sie bewusst werden und in der Großhirnrinde nachträglich als freie Entschlüsse gerechtfertigt werden. Professor Björn Burkhardt, Strafrechtler an der Universität Mannheim, hält indes am Konzept des freien Willens fest: "Freiheit ist immer subjektiv", sagte er. Roth operiere mit unklaren Begriffen von Illusion, freiem Willen und Objektivität.
In der Tat zeigen Experimente, dass unsere Handlungen und sogar unser Wille manipuliert werden können. Reizt man bestimmte Nerven im Rückenmark, so bewegt sich der Arm, aber der betreffende Mensch weiß davon nichts; reizt man dagegen Nerven im motorischen Kortex, so fühlen die Betroffenen, dass sich der Arm unwillkürlich bewegt, wissen aber auch, dass es erzwungen wurde. Regt man dagegen Bereiche in der Großhirnrinde an, die die Befehle zum Armheben an den Motorkortex weitergeben, dann behauptet die Versuchsperson plötzlich: "Ich wollte den Arm bewegen" - und nennt sogar noch Gründe für diesen "Entschluss". Auch die Hypnose wirkt bei manchen erstaunlich gut: So behauptete ein Mann, der nach einer unter Hypnose gegebenen Anweisung auf dem Boden herumkroch: "Das ist ein schönes Parkett, ich will es mir näher ansehen." Das Gehirn sei, erklärt Roth, durch Sozialisation darauf geeicht, für Handlungen sozial akzeptierte Erklärungen zu finden.
"Hirnforscher führen stets pathologische Fälle an, die auf Fremdsteuerung verweisen. Auch die Diskussion im Strafrecht dreht sich bevorzugt um Abenteurer- und Elendskriminalität", wendet Burkhardt ein. Brutale Gewalttäter haben tatsächlich oft Schädigungen in Hirnregionen, die für die Selbstkontrolle und für das Mitgefühl zuständig sind. Viel häufiger habe die Justiz es aber mit Straftaten im Bereich Verkehr oder Steuerhinterziehung zu tun, die von normalen Bürgern begangen werden. Das Rechtssystem setzt voraus, dass solche Bürger überlegen, wie sie handeln. Und ob sie das mit einem "Ich" tun, das immateriell ist, oder mit einer "Illusion eines Ichs", welche in bestimmten Gehirnbereichen gebildet wird, sei unwesentlich. Damit Normen aller erhalten werden, müssten Steuersünder verfolgt werden. Entscheidend ist für Burkhardt bei der Debatte um die Willensfreiheit, ob die Gesellschaft jedem Einzelnen zugestehen will, dass er sich selbst steuert. Dann können Menschen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie Normen verletzen. Wenn man Menschen dagegen als Maschinen definiert, die von biologischen Voraussetzungen und Erfahrungen programmiert seien, sind sie zwar nicht mehr verantwortlich für ihr Handeln, aber die Gesellschaft muss ihre Steuerung stärker in die Hand nehmen - eine totalitäre Vision, die man aus Science-Fiction-Romanen kennt.