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Kippt die Erde in einen neuen klimatischen Betriebszustand

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Kippt die Erde in einen neuen klimatischen "Betriebszustand"?
Selbstregulation möglicherweise überfordert
von Bernhard Mackowiak

Berlin - In den späten 1970er-Jahren trat der englische Atmosphärenchemiker James Lovelock mit einer Hypothese an die Öffentlichkeit, die so gar nicht in das aufgeklärte, technische Zeitalter passen wollte und vor allem New-Age-Anhänger ansprach: Unsere Erde sei ein riesiger Organismus, ein in vier Milliarden Jahren entwickeltes, selbst regulierendes System, in dem die Lebensformen selbst die Bedingungen beeinflussen, die für ihren Erhalt nötig sind. Dieser Organismus strebt danach, jenes Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, welches für das Leben am günstigsten ist. Lovelock nannte den "Organismus Erde" nach der griechischen Erdgöttin Gaia.


Wenn Wissenschaftler heute vom "System Erde" sprechen, dann meinen sie das Zusammenspiel verschiedener Systeme und Kreisläufe auf einer weitaus bescheideneren Ebene: etwa das geologische System der Plattentektonik, den biogeochemischen Kohlenstoffkreislauf, den Wasserkreislauf und das System des globalen Klimas. Die wissenschaftlichen Publikationen dazu suggerieren, die Forscher hätten das Funktionieren des Systems Erde verstanden. "Das ist aber noch längst nicht der Fall", sagt Professor Martin Claußen, Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Beispiel Klima: "Wir wissen zwar aus den Klimaarchiven, wie sich Temperatur und Treibhausgase der Erde im natürlichen Wechselspiel miteinander verhalten haben, aber erklären können wir das noch nicht und demnach auch nicht definitiv sagen, wie belastbar das System Erde in Bezug auf sein Klima ist."


Genau das festzustellen, haben sich kürzlich 40 internationale Spitzenforscher aus Natur-, Sozial- und Politikwissenschaften im Rahmen des 91. Workshops der Dahlem-Konferenz in Berlin zum Ziel gesetzt. Wie bekannt übt der Mensch seit Beginn des Industriezeitalters einen erheblichen Einfluss auf das Klima aus, ohne die langfristigen Folgen der Eingriffe zu kalkulieren. Eine zentrale Frage der Dahlem-Konferenz war jene nach dem gegenwärtigen "Betriebszustand" der Erde. Über den vergangenen weiß man mittlerweile recht gut Bescheid.


So geht die Eisball-Hypothese davon aus, dass die Erde in einer fernen Vergangenheit in einem extremen "Betriebszustand" lief. Danach war unser Planet vor 700 Millionen Jahren von einem globalen bis in die Tiefen der Ozeane hinabreichenden Eispanzer bedeckt. Er ließ nur am Äquator einige Gebiete frei und bot primitiven Formen des Lebens nur in der Nähe untermeerischer Vulkane oder heißer Quellen Überlebenschancen.


Bohrkerne, die beispielsweise im grönländischen Eis gezogen wurden, dokumentieren gut die Klimageschichte der vergangenen 400 000 Jahre. Danach hat es einen ständigen Wechsel zwischen Kalt- und Warmzeiten gegeben. Der Gehalt des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre war in den Warmzeiten nie größer als etwa ,28 Volumenpromille und in den Kaltzeiten nie kleiner als ,18. Ebenso hat die Temperatur nie gewisse Bandbreiten über- oder unterschritten. "Das System Erde hat sich also innerhalb einer Art Kontrollfenster bewegt", sagt Claußen. Das Erdsystem regulierte sich somit selbst - Verfechter der Gaia-Hypothese mögen sich bestätigt sehen.


Viele Klimaforscher meinen, dass dieses Kontrollfenster nunmehr verlassen wurde und dem Leben auf der Erde eine ähnliche Herausforderung bevorsteht wie zu Zeiten des "Eisballes" - nur unter umgekehrtem Vorzeichen. Der Anstieg der mittleren Jahrestemperatur, verbunden mit zunehmend häufigeren Unwettern und Überschwemmungen seien deutliche Zeichen. Das UN-Gremium zur Bewertung des Klimawandels (IPCC) geht bis zum Ende des Jahrhunderts von einer globalen Erwärmung um 1,5 bis 5,8 Grad Celsius aus. Der Klimaforscher und Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen warnt, dass die Erde so in eine Situation kommen werde, in dem sie sich nie befunden habe.
 
Die möglichen Folgen: das Dahinschmelzen aller Eismassen, das Abreißen des Golfstromes und das Ausschalten des lebenswichtigen Monsunsystems in Asien. Damit drohe die Erde - durch die zivilisatorischen Störungen ihres Naturhaushaltes - in eine anderen "Betriebszustand" zu kippen, warnten die Experten der Dahlem-Konferenz. Crutzen hält es für wahrscheinlich, dass sich der Prozess durch eine Rückkopplung selbst verstärkt. Wenn beispielsweise die riesigen Dauerfrostböden Sibiriens auftauen, entweichen dort riesige Mengen des potenten Treibhausgases Methan. Im Extremfall könnte sich die Erde gar zu einem heißen Wüstenplaneten nach Art der Venus wandeln.


Ob das klimatische Fenster des bisherigen Betriebszustandes tatsächlich verlassen ist, lässt sich zurzeit nicht beweisen. Ebenso wenig ist klar, ob der Prozess reversibel ist. Die Rezepte der Klimaforscher für eine mögliche Rückkehr sind dagegen bekannt: den Ausstoß an Treibhausgasen mit technischen und wirtschaftspolitischen Mitteln mit globaler Disziplin begrenzen und so ein nachhaltiges Wirtschaften erreichen.


Konferenz-Veranstalter Professor Hans-Joachim Schellnhuber, bis vor kurzem Chef des PIK und jetzt am Tyndall Centre for Climate Change Research im englischen Norwich, glaubt zwar nicht, dass die Erde völlig unbewohnbar wird, doch mit der Idee einiger Visionäre (oder Spinner?), die Menschheit im Notfall auf einen anderen Planeten umzusiedeln, hat er sich auseinander gesetzt. Sein Fazit: Machbar wäre so etwas vielleicht, aber mit einem Bruchteil der dazu notwendigen Mittel ließe sich die Erde in ein Paradies verwandeln.

http://www.welt.de/data/2003/06/23/122968.html?s=2
 
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